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Baggern, bohren, bauen. Ölförderung statt Umweltschutz im ecuadorianischen Yasuní-Nationalpark

Autor: Sven Schaller – Februar 2014
Seit dem 15.08.2013 wird in einem der wichtigsten hotspots der Biodiversität weltweit wieder gebaut, gebohrt, gehämmert: Der Yasuní-Nationalpark wird erschlossen. Vielmehr, das unter ihm liegende Öl. Und damit obsiegt einmal mehr die schizophrene Logik der kapitalistischen Expansion. Für die kurzfristige Verheißung von Wachstum und Energienachschub für den globalen Motor wird die natürliche Flora und Fauna in einem Gebiet gefährdet, in dem auf einem Hektar 2274 verschiedene Baumarten und Sträucher wachsen und unter anderem 593 Vogel-, 150 Amphibien- und 80 Fledermausarten leben.

Die Bulldozer, Kräne, Bohrplattformen bestimmen nun das Bild in den Ishpingo-Tambococha-Tiputini (ITT) genannten Ölfeldern. Seit 2007 war das Moratorium zur Erdölförderung in dem Gebiet in Kraft. Doch seit dem verhängnisvollen 15. August des letzten Jahres gilt Plan B: schnellstmögliche Erschließung. Nach Plänen der Regierung soll bereits ab 2016 Öl aus den Feldern Tambococha und Tiputini fließen, ab 2018 dann auch aus dem Feld Ishpingo. Dafür wird die staatliche Petroamazonas insgesamt 360 Bohrlöcher anlegen, jeweils 90 in Tiputini und Tambococha und 180 in Ishpingo.

In seiner Ansprache zum Ende des Moratoriums gab Ecuadors Präsident Rafael Correa den industrialisierten Ländern die Schuld für die nun beginnende Ölförderung im Nationalpark: „Die Welt hat uns im Stich gelassen“, erklärte er. Und das mag stimmen. Die vor der UNO im Jahr 2007 präsentierte Initiative Yasuní-ITT sah vor, die geschätzten 909 Millionen Barrel Rohöl in der Erde zu belassen, wenn die Weltgemeinschaft im Gegenzug ungefähr die Hälfte der daraus zu erwartenden Erlöse (etwa 3,6 Milliarden US-Dollar) aufbringen würde. Doch bis 2013 kamen lediglich 330 Millionen US-Dollar in einem Treuhandfond zusammen, nicht einmal 0,5 Prozent des angestrebten Ziels. Auffallend daran war, dass sich die größten CO2-Emittenten, USA und China, und auch einige der reichsten Länder wie Großbritannien und Japan finanziell überhaupt nicht beteiligten. Und unvergessen bleibt auch die Rolle Deutschlands, als der neue Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Dirk Niebel, im Jahr 2008 die bereits vom Bundestag zugesicherten 50 Millionen Euro zurückzog – trotz zwischenzeitlicher Hoffnungen auf ein Umdenken.

Für die Industriestaaten war der Vorschlag wohl zu innovativ, juristisch unsicher, ohne Präzedenzfall. Ecuador bot an, die Emission von über 400 Millionen Tonnen Kohlendioxid (CO2) zu vermeiden, indem das Öl im Boden bliebe. Dafür sollten die industrialisierten Staaten mit ihrem historisch-gewachsenen, hohen CO2-Fussabdruck in die moralische Pflicht genommen werden, um die Umweltschulden gegenüber den weniger entwickelten Staaten wie Ecuador auszugleichen. Allerdings haben sich die meisten Staaten mit dieser Logik schwer getan: Für eine Nicht-Leistung zahlen? Für den Schutz eines Gemeingutes (Luft) zahlen? Niebel erklärte damals diesen Punkt treffend: Er sei nicht bereit, für unterlassene Umweltschädigungen finanzielle Mittel bereit zu stellen.

Wegen des typischen Trittbrettfahrerproblems zeichnete sich daher das Scheitern der Initiative schon früh ab. Und Ecuador reagierte entsprechend. Denn parallel begann die Regierung Rafael Correas mit den Planungen zur Erschließung. Auch in seinem Wahlkampf zu den Präsidentschaftswahlen 2013 verkündete Correa mehrfach, bei Nichtzustandekommen des Fonds mit der Förderung im ITT zu beginnen.
An dieser Stelle beginnt das Problem, nämlich, dass nicht nur die Weltgemeinschaft Schuld an der nun beginnenden Förderung im ITT hat, sondern auch die ecuadorianische Regierung mit ihrer Wirtschaftspolitik. Unbestritten, die eingeleitete Sozialpolitik und die Armutsbekämpfungen kosten Geld. Allein zwischen 2006 (Correas Wahl zum Präsidenten) bis 2010 hat sich der Prozentsatz der Sozialausgaben im BIP mehr als verdoppelt. Doch die Verwendung der (Öl)Renten für diese Zwecke stellt keine Lösung dar, sondern bringt nur neue Abhängigkeiten. Der dargelegte Sachzwang der ecuadorianischen Regierung („Wir benötigen das Geld aus der Ölförderung dringend für den Kampf gegen die hohe Armut“) ist somit nur die halbe Wahrheit. Denn was passiert, wenn das Öl erschöpft ist? Das sollte Rafael Correa als Ökonom wissen. Er sollte auch wissen, dass seine Wirtschaftspolitik den Aufbau einer diversifizierten Wirtschaft zum Ziel haben sollte. Doch davon ist Ecuador nach wie vor weit entfernt. Allenfalls sehen wir nun deutlich, dass dem Andenland durch die Fortsetzung der extraktivistischen Aktivitäten die gleiche Rolle im internationalen Weltsystem zukommt wie vor dem Regierungsantritt Correas: als Ressourcenlieferant, „progressive“ Regierung und Sozialprogramme hin oder her.

Mit dem Beginn der Förderung von Erdöl im Nationalpark Yasuní stellt sich auch die Frage nach der Fortschrittlichkeit der Verfassung neu. Zwar hat in Ecuador die Natur als Rechtssubjekt Eingang in die Verfassung gefunden. Beispielsweise heißt es in Artikel 71: „Die Natur oder Pachamama, wo sich das Leben reproduziert und verwirklicht, hat das Recht, in ihrer Existenz sowie der Erhaltung und Regeneration ihrer Lebenszyklen, Struktur, Funktionen und Evolutionsprozesse vollständig respektiert zu werden“. Und jede „Person, Gemeinschaft, Volk oder Nationalität [kann] vom Gesetzgeber die Einhaltung der Rechte der Natur einfordern“. Aber die Förderung von Öl im ITT offenbart eigentlich nur einmal mehr den Vorrang von wirtschaftlichen Aktivitäten vor Umweltbelangen.

Die Diskrepanz schlug sich auch im politischen Diskurs und bei der Zusammensetzung der Regierung nieder. Alberto Acosta, einstiger Bergbau- und Energieminister Correas und einer der Initiatoren der Yasuní-Initiative, wandte sich ebenso von dem auf Wachstum und Ressourcenextraktion basierenden Entwicklungsmodell des Präsidenten ab wie die indigenen Gemeinschaften, allen voran die CONAIE.

Auch juristisch wirft das Vorgehen der Regierung Fragen auf – nämlich hinsichtlich ihrer Risikoaffinität und (finanziellen) Absicherung im Fall von Umweltschäden. Bekanntlich hat im Februar 2011 ein ecuadorianisches Gericht den Ölkonzern Chevron verurteilt, 18 Milliarden Dollar als Entschädigung für Umweltschäden der Firma Texaco (die später von Chevron übernommen wurde) im Zeitraum 1964 bis 1990 an verschiedene indigene Gemeinschaften zu zahlen. Chevron ging in Berufung – das Urteil steht in diesem Jahr an. Doch die entscheidende Frage lautet: Was passiert bei Umweltschäden im ITT, verursacht durch Petroamazonas, einer Staatsfirma?

Offenbar nimmt die ecuadorianische Regierung dieses Risiko in Kauf. Zu wichtig ist die Ölförderung im ITT für die nationale Rohstoff-(Export-)Politik. Der Energiemix des Landes weist nicht nur eine sehr starke Abhängigkeit vom Rohöl auf – mit einem Anteil von Öl an der gesamten Energienachfrage in Höhe von 76 Prozent im Jahr 2012. Der Öl-Sektor generiert auch ein Drittel aller Steuereinnahmen.

Allerdings hat die Ölförderung ihren Peak 2006 überschritten. Damals wurden 536.000 Barrel pro Tag gefördert. 2012 waren es 505.000 Barrel pro Tag. Der Trend ist derzeit wieder leicht ansteigend, nachdem 2011 das Panacocha-Feld, ebenfalls im ecuadorianischen Amazonas gelegen, erschlossen wurde. Von der Gesamtfördermenge exportierte Ecuador 354.000 Barrel Rohöl pro Tag. Mit 177.000 Barrel pro Tag ging knapp die Hälfte der Rohölproduktion in die USA. Doch die geänderte Energiepolitik der Wirtschaftsgroßmacht im Norden mit dem starken Ausbau des Fracking führte dazu, dass Ecuador 2012 knapp 100.000 Barrel Rohöl pro Tag weniger in die USA ausführte als noch 2005. Auch vor diesem Hintergrund hat die Regierung ein großes Interesse am schnellen Beginn der Förderung im ITT.

Bei der Analyse der Abhängigkeiten Ecuadors vom Öl und der ausländischen Nachfrage kommt ein interessanter Aspekt hinzu. Da nämlich die Raffineriekapazitäten im Land nicht ausreichen, muss Ecuador raffinierte Produkte importieren, was natürlich die Nettorendite der Öleinnahmen enorm vermindert. Beispielsweise exportierte Ecuador im Jahr 2012 etwa 27.000 Barrel pro Tag an raffinierten Produkten (v.a. schweres Heizöl) und führte 110.000 Barrel pro Tag (vor allem Benzin, Diesel und LPG) ein.

Und die Situation spitzt sich weiter zu. Derzeit arbeiten in Ecuador drei kommerzielle Ölraffinerien mit einer Gesamtkapazität von 176.000 Barrel pro Tag. Nun soll allerdings die größte Raffinerie, Las Esmeraldas, mit einer Kapazität von 110.000 Barrel pro Tag wegen einer Generalüberholung zeitweise stillgelegt werden. Vor diesem Hintergrund scheint Ecuador die Förderung im ITT zu forcieren, um die entstehenden Mehrausgaben für Raffinerie-Produkte und das Handelsbilanzdefizit gering zu halten, zumal die Gesamtverschuldung des Staates im Steigen begriffen ist.

Der Beginn der Fördertätigkeit in immer tiefer im Urwald gelegenen Gebieten passt somit ins Gesamtkonzept der ecuadorianischen Wirtschaftspolitik. Business as Usual. Das Scheitern der Yasuní-Initiative offenbart nur einmal mehr, wie kurzfristige Profitinteressen immer wieder über langfristige Lebensgrundlagen gestellt werden – selbst von den als „progressiv“ bezeichneten Regierungen.

Quelle: http://www.quetzal-leipzig.de/lateinamerika/ecuador, Februar 2014